Zur Rolle von Frauen im Lebensbund

Dieses Projekt beschäftigt sich zwar fast ausschließlich mit rechten Männern, dennoch möchten wir darauf hinweisen wie wichtig es ist, Frauen in der extremen Rechten wahr- und ernst zu nehmen. Entgegen der geläufigen bürgerlichen Meinung, die privaten Beziehungen im familiären Kreis oder in romantischen Paarbeziehungen seien unpolitisch, wird am Beispiel der Rolle der Ehefrauen, Töchter oder Beziehungspartnerinnen der Mitglieder der Marburger Burschenschaft Germania deutlich, dass diese Behauptung schlicht nicht haltbar ist. Die nachfolgende Argumentation wird entlang dreier Thesen strukturiert.

1. Geteilte Ideologie

Anhand diverser Erhebungen zur Verteilung von Einstellungsmerkmalen in der Gesamtgesellschaft kann gezeigt werden, dass extrem rechte Einstellungen unter Frauen ebenso verbreitet sind wie unter Männern. Jedoch werden sie oft gerade wegen ihrer bürgerlichen Erscheinung nicht als politisch wahrgenommen. Die Aufwertung des eigenen Subjekts durch „Volkszugehörigkeit“ und Unterdrückung durch Rassismus, kurz Dominanzideologien, bieten dabei geschlechtsunabhängig Wertorientierung und Bezugspunkte. Freundinnen und Ehepartnerinnen sind nicht zufällig mit extrem rechten Akteuren zusammen, sondern teilen deren politische Überzeugungen und müssen als eigenständige politische Akteurinnen in den Blick genommen werden. So verwundert es im Fall der (damaligen) Liebesbeziehung Marcel Graufs mit Susanne Förster nicht, dass dieser seinem Bundesbruder Schreiber in gerichtlich verifizierten Facebook-Chats[1] … Continue reading erzählt, gemeinsam mit seiner Freundin allabendlich die Tagebücher von Hitlers Sekretärin Traudl Junge zu lesen. Grauf: „Meine Freundin liest derweil Traudl Junge.“ Schreiber: „Ach, so gut. (…) Ich habe das in Berlin gelesen und war teilweise an den Orten des Geschehens. In europäisches Heldenblut getränkt und jetzt alles vernegert und verschwult.“ Grauf: „Ich habe meine Bücher nun untergebracht und habe noch einige gelesen. Weiterhin lesen mein Huhn [Bezeichnung seiner Freundin, Anm.d.Verf.] und ich nun jeden Abend.“ Interessant ist auch, dass die hier erwähnte Freundin Susanne Förster, die in ihrer Freizeit gern die Schriften von Hitlers privater Sekretärin liest, von Beruf Erzieherin ist. Das verdeutlicht einmal mehr, dass Frauen unpolitisch auftreten, sie aber gerade hierdurch andere gesellschaftliche Felder für ihre politische Wirkmächtigkeit erschließen und dabei nicht auffallen.

Marcel Grauf und Susanne Förster

Auch das Interview mit Marianne Siebert,[2]Burschenschaft Rheinfranken Marburg: Interview mit Marianne Siebert https://www.youtube.com/watch?v=FwMFI3szdm0 Frau des Alten Herrn Gert Siebert der Marburger Burschenschaft Rheinfranken, bestätigt diese vermeintlich unpolitischen Tätigkeiten und deren familiären Bezüge. Zwar beziehen sich Sieberts Aussagen auf ihre Erfahrungen im Umfeld der Marburger Burschenschaft Rheinfranken, jedoch bestätigen ihre Erfahrungsberichte die hier aufgebrachten Thesen zur Rolle von Frauen in extrem rechten Burschenschaften. Mariannes Vater war bereits Korporierter. Sie blieb in den rechten Korporiertenkreisen verhaftet und heiratete später einen Rheinfranken, wobei das Einfinden in die rechte Lebenswelt für sie durch ihre Kindheit kein Problem darstellte: „Wir sind als Kinder schon mit aufs (…) Haus. Für jemanden, der überhaupt nie was von einer Verbindung gehört hat ist das natürlich ganz schwer, erstmal sich da einzugewöhnen und (…) diese ganzen Rituale (…) anzuerkennen oder zu verstehen was die da wollen (…). Das muss man alles dann erst lernen und das hatte ich schon.“

2. Reproduktion der Strukturen

Aufbauend auf dem zuvor angebrachten Argument, dass die Ehefrauen, Freundinnen und Töchter von Burschenschaftern durchaus zu eigenen politischen Meinungen befähigt sind und nicht „unwissentlich“ in extrem rechten Kreisen verkehren, gilt es nun ein genaueres Augenmerk darauf zu werfen, welche Funktionen sie innerhalb des Lebensbunds bedienen. Gerade extrem rechte Weltbilder zeugen von binären Geschlechterverständnissen mit klaren geschlechtsspezifischen Rollenverteilungen, wobei Frauen dort politisch aktiv werden, wozu sie sich qua der zugewiesenen Rolle befähigt und zuständig fühlen. Innerhalb des Lebensbunds wird die Teilnahme der Ehepartnerinnen, Freundinnen und Kinder an bestimmten Festivitäten explizit gewollt und die Anerkennung der Rituale und die Integration innerhalb der burschenschaftlichen Normen und des Brauchtums auch von Frauen erwartet. Hierdurch tragen sie die Strukturen der Burschenschaft maßgeblich mit und sorgen für deren Erhalt, nicht zuletzt durch ihre stete Unterstützung bei der Ausrichtung dieser „Erlebniswelt Rechts“. Diese reproduktiven Tätigkeitsfelder laufen eher hintergründig ab und werden von außen nicht als Ausdruck politischer Überzeugungen verstanden, obwohl sie genau jene Betätigungsfelder der extrem rechten Frauen sind. Ein Beispiel hierfür ist Sabrina Krubers Beziehung zum Germanen Heinrich Mahling, der wegen seiner Depressionen Zuflucht in der Paarbeziehung sucht. Die sorgende, kümmernde und emotional „heilende“ Rolle der Freundin oder Mutter ist notwendig, um die männlichen Akteure emotional zu stabilisieren und handlungsfähig zu machen. Dabei übernimmt Kruber auch ganz konkrete reproduktive Aufgaben auf dem Haus der Burschenschaft, bringt sich also innerhalb der eng gesteckten Grenzen der für sie vorgesehenen Frauenrolle in das Leben auf dem Haus ein – Mitspracherecht bei Entscheidungen erhält sie dadurch jedoch nicht.

Auch die Aussagen Marianne Sieberts bestätigen diese klare Rollenverteilung und das Mittragen der Strukturen von Burschenschaften durch die Frauen: „Und aufs Haus bin ich 1953 mit meinem Onkel (…) und mit dem hab‘ ich zusammen die Gardinen alle aufgehängt. Die hatte ich vorher alle zuhause genäht (…). Und dann war ich hoch schwanger ja schon (…). Aber ich war ja auch die ersten Jahre nicht so sehr aktiv [in der Burschenschaft], weil ich ja die Familie hatte mit den drei Kindern dann nachher (…) Aber ich war eigentlich immer zu den Festen (…) dabei. Aber sonst war das ja mehr Männersache, nicht? So im Hintergrund hab‘ ich (…).“ Da wo „die Mädels, die Damen“ dabei sein durften, sei sie gewesen und habe immer eine helfende Hand geboten.

3. Nutzung der Netzwerke

Anschließend an diese rechte Erlebniswelt und das hierdurch gestärkte Gefühl der Zugehörigkeit auch der Frauen im Umfeld der Burschenschaft, lautet das dritte Argument, dass die Netzwerke des Lebensbunds auch von Frauen zu einem gewissen Grad genutzt werden können. Als Partnerinnen und Töchter bewegen sie sich wie selbstverständlich im Umfeld der Burschenschaft, besuchen mit den Aktiven und Alten Herren Tanzveranstaltungen, Sommerfeste oder sind im privaten Umfeld der Bundesbrüder bei Hochzeiten und Taufen zugegen. Sie sind auf den Häusern zu Besuch, können bei Veranstaltungen selbst Kontakte zu Nazi-Burschen knüpfen oder die Netzwerke und Konkakte ihrer Väter nutzen, zum Beispiel bei Jobvermittlungen.

Wie im Fall von Marion Ihls, Tochter des Alten Herren Alexander Ihls, und Lena Margarethe Kaut, Tochter von Günther Kaut zu sehen ist, nutzen die beiden Frauen die Burschenschaft ihrer Väter, um selbst sozialen Anschluss zu finden. Dabei kann Lena Kaut die Struktur sogar soweit nutzen, dass sie am Leben auf dem Haus in Marburg teilnimmt. Das heißt jedoch nicht, dass sie vollwertiges Mitglied der Burschenschaft wäre. Vielmehr zeigt dies auf, dass das Lebensbundprinzip der Burschenschafter über die Mitglieder hinaus auf die Sorge um deren Familienangehörigen als Teil dieser Gemeinschaftlichkeit ausgedehnt wird.

Marion Ihls
Lena Margarethe Kaut

Dass sich die Burschenschafter gegenseitig besuchen, war für Marianne Siebert „eine Selbstverständlichkeit. Wenn ich reise nehme ich das Rheinfranken-Buch mit. Und wenn sich’s ergibt, sagt man auch jemandem ‚Guten Tag‘. (…) Auf einmal taucht der Hengelmann [Alter Herr, Anm.d.Verf.] in Marburg auf und dann sagt er, er wohnt in Prien am Chiemsee. Ja und wenn man hier runter fährt dann sagt man ‚ja gut dann sagen wir doch mal guten Tag‘, nicht? Und so entwickelt sich dann immer wieder ’ne neue Freundschaft.“ Und auch der Bezug zu den Aktiven sei gegeben: „Probleme hat’s nie gegeben. Es gab mal Unstimmigkeiten, dass mal einem was nicht gepasst hat, aber sie konnten immer alle zu uns kommen und ich konnte immer aufs Haus kommen.“ Die Aussagen Mariannes verdeutlichen anschaulich, dass auch Frauen als eigenständige Akteurinnen auf die bundesweiten Netzwerke der verschiedenen Burschenschaften zugreifen können und ihre Ideologie teilen.

Alle drei Thesen zusammengefasst machen deutlich, was in den Analysen der extremen Rechten immer wieder übersehen wird: Die Töchter, Ehefrauen und Lebenspartnerinnen der Burschenschafter sind als eigenständige extrem rechte Akteurinnen in den Blick zu nehmen. Sie sind keine unpolitischen Randerscheinungen, sondern teilen das menschenverachtende Weltbild der Burschenschaft, bewegen sich in den Netzwerken und tragen die Traditionen und Rituale mit. Sie müssen genauso wie die männlichen Mitglieder der Burschenschaften als politische Feinde erkannt und dementsprechend gegen sie vorgegangen werden.